Gayan Sylvie Winter: Die Weisheit der Indianer

 

Felsen türmen sich auf, mit gigantischer Erhabenheit, verlieren sich am Horizont. Stein glüht in der Abendsonne, als wollte sie sich wehren, die Sonne, die Welt in Brand stecken, bevor sie die Nacht frisst. Land der Wunder einer erhabenen, beeindruckenden Natur, die uns demütig macht in diesem Land, das ausschaut wie ein Sandkasten Gottes. Land der Indianer, die ihr spirituelles, tiefes Naturbewusstsein prägte. Lässt sich mein Glaube an die Weisheit der Indianer mit meinem Glauben an die Engel vereinbaren?

Von Gayan Sylvie Winter

In einer stürmischen Nacht wuchsen mir im Traum weite Flügel, die mich mühelos hinuntertrugen, in eine unendliche Landschaft … Ich schwebte und landete auf einem glänzenden Steinmassiv. Im Zwielicht schimmerte der glatte Fels wie Purpur … Der Geist des Peyote war in mir. Licht und Dunkel, auf ewig vereint … auf ewig vereint …

Die Navajogeschichte berichtet, dass die „Dineh“, „The People“, auch die Erdmenschen genannt, durch 3 Welten aufstiegen, bis sie in die vierte Welt, die heutige „Glitterwelt“, gelangten. Sie sind für diese Welt, die Natur und alle Lebewesen darin mitverantwortlich. Diese Aufgabe wurde ihnen von dem zweiten Stamm der Menschen, den sogenannten „ Heiligen Menschen“, (obwohl sie auch Ungutes bewirken konnten) übergeben. Die Erdmenschen wurden gelehrt, in Harmonie und Balance zu leben und vor allem ihre Mutter Erde zu schützen und ihren Vater Himmel zu ehren. Dazu gehörten auch die 4 Elemente. Erde, Wasser, Feuer, Luft. Denn bevor die fünfte Welt erreicht werden kann, muss die Menschheit zusammenfinden und in Frieden leben lernen, wenn sie überleben will. Dies ist eine alte Hopi-Prophezeihung.

Die Nummer 4 zieht sich durch die gesamte traditionelle Navajo-Philosophie. Es sind die 4 Jahreszeiten, die 4 Himmelsrichtungen, die 4 Berge, welche die Reservation umgeben und ihre 4 Clans, die großen Familien, sowie die 4 wichtigsten rituellen Gesänge, die immer wieder multipliziert werden. Die 4 symbolisiert Kraft, Stabilität, Ordnung und Ausdauer.
Bei den Navajoindianern lebt der Große Geist in allem. Er lebt in der Welt des Sichtbaren und des Unsichtbaren und bringt alles hervor. Jedes Steinchen und jeder Grashalm ist vom großen Geist durchdrungen. Deshalb hüten die Navajos ihren heiligen, goldgelben Maispollen, den sie für ihre zeremoniellen Sandbilder benutzen, so wie sie von den heiligen Menschen gelehrt wurden. Es gibt unzählige Heil-Zeremonien, bei denen der Maispollen sehr wichtig ist. Einige dauern ein paar Stunden und andere ziehen sich bis zu neun Tagen hin. Viele Männer tragen ihn in kleinen Medizinbeuteln mit sich zum Schutz.
Die Navajos lieben ihre Schwitzhütten zur inneren Klärung und die erforderlichen Rituale. Das dazu gehörende Fasten ist wichtig, weil es reinigt, neue Kräfte bringt und das Immunsystem stärkt. Bei einem der ältesten Rituale, dem „Vision Quest“, wird ein Junge hinausgeschickt in die Wildnis, um dort vier Tage allein zu bleiben.
Ohne Wasser oder Nahrung. Er muss auf seine Träume achten und den Großen Geist um eine Vision bitten, die sein Leben bestimmen wird. Dieses Bewusstsein leitet ihn auf seiner spirituellen Suche. Er findet seinen neuen Namen und wird ab diesem Punkt ein Mann.
Das Matriarchat der Navajos funktioniert seit Anbeginn. Männer heiraten immer in den Klan der Frauen ein. Die Frauen sind das Obenhaupt der Familie. Sie müssen nichts Besonderes tun, um dass zu sein, was sie sowieso schon sind. Ein spirituelles Wesen, das die Mutter Erde selbst symbolisiert. Sie sind die Hüterinnen des Feuers und bringen neues Leben zur Welt. Die Mütter stillen ihre Kinder bis zu vier Jahren. Ihre Muttermilch ist die Milch der Mutter Erde. Daher stehen ihre Kinder fest auf der Erde, heißt es. Die Alten weben noch immer ihre herrlichen und heute sehr teuren Teppiche, im Schatten von „Spider Woman“, dem hochragenden steilen Felsen im Canyon de Chelly, deren Geist alltäglich die Netze der Welt zusammenspinnt. Die Navajos sind überall für ihren Türkis- und Silberschmuck bekannt, eine Kunst, die sie sich von den Spaniern angeeignet haben.
Mein erster Kontakt zu der Welt der Navajo-Indianer war im Herbst 1988 in Santa Fe. Eine Frau an einer Tankstelle erzählte mir von einer Freundin, einer Navajoindianerin, die ich unbedingt kennenlernen sollte. Ihr Name war Elsie. Sie war die Tochter einer Medizinfau auf der Navajo-Reservation in Arizona, die noch immer den „Hand Shake,“ eine uralte Heilmethode praktizierte. Ich war erstaunt, aber versprach ihr, die Indianerin zu besuchen. Dies war der Anfang einer langen Freundschaft. Ich besuchte Elsie und ihren Klan tatsächlich kurz danach und lernte dort auch einen befreundeten Medizinmann kennen, der mich zu einer zehnstündigen Peyote-Zeremonie einlud. Vor dem Peyote-Ritual der „Native American Church“ fürchten sich viele, obwohl sie nicht daran glauben, glauben wollen. Doch ihre Anhänger schwören auf die Kraft der Visionen des Peyotekaktus. Er wird sorgfältig an verborgenen Orten gesammelt und seit ewigen Zeiten benutzt, um die Schwellen des normalen Bewusstseins zu überschreiten und um sich auf diese Weise, losgelöst von allem, mit dem Großen Geist zu verbinden.
Normalerweise sind bei dieser intimen Heil-Zeremonie niemals Fremde dabei. Diesmal war es anders, ich wurde liebevoll empfangen. Zwölf Navajos, Männer und Frauen, mit einer Patientin. Wir lagen nahe am Feuer im Hogan, einem traditionellen sechseckigen Haus, aus Lehm und Holz gebaut. Wir formten einen Kreis. Die ganze Nacht wurde gesungen und für die Frau gebetet. Der Tee des Peyotekaktus ging in einem Kübel mit Kelle im Kreis herum. Das helle Feuer in der alten Blechtonne, die als Ofen diente, wurde von einem jungen Navajo immer wieder neu geschürt und der Erdboden davor sternförmig mit einem kleinen Zweigbesen gereinigt. Mein Geist war vollkommen still. Es war kein Gedanke mehr da. Ich nahm alles um mich herum wahr, selbst mit geschlossenen Augen. Ich war eins mit allem und vollkommen wach. Jenseits aller Worte. Jenseits des Verstandes.
Während dieser Heil-Zeremonie wurde mir bewusst, dass die Navajoindianer in einer vollkommen anderen Zeit und Welt leben. Unsere Welt ist linear. Da muss alles Sinn machen. Alles muss zu etwas dienen oder zu etwas genutzt, beziehungsweise benutzt werden können. Nichts darf einfach sein. Der Kampf, um die ununterbrochene Sinnsuche scheint unser Luxus und Los. Dabei übersehen wir oft, dass das Leben nicht mit dem menschlichen Verstand erklärt werden kann. Es ist ein Mysterium und bleibt ein Wunder. Wie die heutige Nacht. Und deshalb sind wir immer auf der „Suche nach dem Wunderbaren“, wie Ospensky es so schön in seinem Buch ausgedrückt hat.
Bei den Navajos ist es vollkommen anders. Ihre Spiritualität besteht nicht aus der sogenannten Sinngebung. Sie suchen nichts. Alles ist. Das Wunder wird als solches akzeptiert. Alles rührt bei ihnen von der Schönheit her, aus Ahalani, aus dem Großen Geist. Deshalb nennen sie ihren Lebensweg den Weg der Schönheit. Könnten wir doch nur ein klein wenig dieser Einfachheit erfahren, dann sähe vielleicht vieles in unserem Leben anders aus. Dazu müssten wir umdenken und querdenken lernen und vor allem Dankbarkeit fühlen und pflegen.
Am folgenden Tag fuhr ich, im rosa Morgenlicht, durch eine frisch verschneite Landschaft zurück in die Zivilisation. Ich war wie verwandelt und mein Kopf war ganz still. Es braucht Mut und die richtige Umgebung, um die Macht dieser bewusstseinserweiternden Erfahrung richtig aufzunehmen. Ich dankte innerlich meinen Navajofreunden für dieses mystische Erlebnis und für ihr Vertrauen in mich, auf ihrem Weg, dem Großen Geist zu begegnen …

Die Navajos lieben es zu feiern und bereiten mit unendlicher Geduld und Liebe ihre Feste und Tänze vor. Wie das Red Rock Festival in Gallup oder in Window Rock. Aber das größte Navajo Pow Wow, das jährliche Fest in Shiprock, der vier Corners Area, findet immer am ersten Wochenende im Oktober statt. Dem kargen Gebiet, zwischen Utah, Colorado, Arizona und New Mexiko, von dem die Hopis und die Navajos sagen, dass es das Land ist, welches Schutz bieten wird, wenn die nächste große Wandlung kommt. Dort findet auch der Yei Bi Chai Tanz statt, der die ganze Nacht währt und einer der heiligsten Tänze ist. Und unter 2000 Navajo-indianern steht manchmal ein Weißer.
Ja, diese Menschen leben im Augenblick. Sie sind ganz im Hier und Jetzt, wenn sie tanzen, wenn sie singen und wenn sie ihre Schafe aus dem „Canyon des Chelly“, dem spirituellen Herz der Navajonation, im Herbst zu ihren armseligen Hogans und Trailern treiben. Sie leben im Augenblick, wenn sie ihre Trommeln schlagen und ihre tiefen, erdigen, guturalen Stimmen die Nacht durchdringen. Ich bin dabei oft in Trance geraten und konnte mein Alltagsbewusstsein für eine Weile dankbar und glücklich hinter mir lassen …
Die Navajos scheinen für unser Empfinden oft einfach in den Tag hinein zu leben. Sie halten sich an keine Uhrzeit und lassen sich nicht drängen. Die Zeit auf der Uhr ist nicht wichtig genug. Ihre Welt mag uns zu einfach erscheinen. Sie sind nicht sonderlich an äußeren Reichtümern interessiert, obwohl natürlich auch hier die Gier erwacht ist. Das Land bringt kaum etwas hervor, außer Kohle, Erdgas, etwas Öl und Uranium, was viele Navajos das Leben gekostet hat. Die Armen sind oft bitterarm, aber sie helfen sich alle weiter. Die Jungen kommen oft zu spät zur Schule, da sie im Winter davor noch Holz hacken müssen. Ihre Regierung ist undurchsichtig und abgesahnt wird an der Spitze, wie überall. Und obwohl sie große gesundheitliche und soziale Probleme haben, mit Alkohol, Diabetes und Arbeitslosigkeit, scheinen sie wesentlich zufriedener als wir. Die Navajos glauben nicht daran, dass man sich im Leben etwas verdienen muss, oder kann. Oder dass einem das Leben etwas schuldet. Die Dinge sind, wie sie sind. Keiner ist besser als der andere. Sie leben nicht in Erwartungen. Sie erheben keine großen Ansprüche. Sie haben tiefes Vertrauen. Die Natur ist ihre Kirche. Vor allem der herrliche Canyon de Chelly. Dies ist ihr heiliger Ort – für geheime Zeremonien, bei denen niemals ein Weißer zugegen sein wird. Dorthin ziehen sie sich zurück, um Kontakt mit dem Großen Geist aufzunehmen. Ihr Glaube ist einfach. Sie sehen ihr eigenes Verhalten widergespiegelt in der Natur. Und obwohl sie noch bis ins 19. Jahrhundert für ihre Raubzüge, besonders gegen die Puebloindianer entlang des Rio Grande und ihre Nachbarn, die Apachen, berühmt waren und dieser kriegerische Geist in ihnen weiterlebt, bleibt doch die Lehre, die Erde als Mutter zu ehren und zu schützen, tief in ihrem Bewusstsein verankert.

Immer wenn ich mich geistig abnabeln wollte, fuhr ich die fünf Stunden zur Reservation. Schon wenn ich kurz vor Albuquerque nach rechts in Richtung Cuba abbog, veränderte sich die Energie. Alles wurde innerlich und äußerlich stiller und weiter. Alles dehnte sich aus. Auch in mir. Auf der Reservation angekommen, tauchte ich in ein völlig anderes Kraftfeld ein. Die Zeit stand plötzlich still. Dieser zeitlose Raum gab mir unendliche Freiheit und Freude. Ich konnte meine Gedanken besser beobachten und spürt wie sie sich von mir ablösten. Wie sie von selbst weiterzogen. Ganz ohne mein Tun. Das ist ein ganz einmaliger Zustand, den ich die spontane Meditation getauft habe.
Aus diesem Grund brachte ich immer wieder Suchende zu den Navajos. Ich wollte sie die Magie dieses Volkes, die gewaltige Natur des vollkommen unfruchtbaren Monument Valleys und den schier endlosen Himmel hautnah fühlen lassen. Ich wollte ihnen die Demut nahebringen, mit der diese starken Menschen in ihrer äußeren Armut leben. Ich wollte sie die Ruhe spüren lassen, die von allem ausgeht. Es ist sehr schwer in Worte zu fassen, was hier energetisch mit einem passiert. Man kann es wirklich nicht erklären. Diese Weite …, diese absolute Leere …, das große Nichts. Ein einsamer Navajo mit seinen Schafen, am Straßenrand …, ein Kind, das barfuß mit einer Papiertüte von Mac Donald spielt …, ein Raubvogel, der die letzten Reste eines Tieres verschlingt (und natürlich zirpen auch hier im Nichts ab und zu die Handys).
Es scheint auf den ersten Blick alles so nichtig. So belanglos, gegen all die großen Ideen und Erwartungen, die wir Weißen an unsere spirituelle Entwicklung und unser Dasein festmachen. Hier wird nicht jahrelang nach dem Sinn des Lebens oder nach einer spirituellen Identität gesucht. Sie können sich das nicht leisten. Das Leben ist zu hart. Zu direkt, um esoterischen Fantasien und Träumen nachzugehen. Hier geht es ums reine Überleben. Um Obdach, Nahrung und Arbeit. Ihre Kultur ist in Gefahr. Man wollte sogar ihre Spache in den Schulen verbieten. Was für eine Vorstellung, denn die Geschichten und Parabeln, damit die Weisheit der Alten, kann nur mündlich überliefert werden. Besonders den jungen Leuten erscheint die Reservation manchmal wie eine Falle. Viele möchten fortgehen. Doch einige kommen auch wieder. Sie können mit der Welt der Weißen nichts anfangen. Sie gehen unter, weil sie vollkommen anders denken und dort keinen äußerlichen Erfolg haben und ihre inneren Werte nicht leben können. Es gibt ein Hotel in Santa Fe, das zur Häfte einem Pueblo gehört. Ein Journalist fand heraus, dass die Indianer von ihren Partnern in New York betrogen wurden. Als er den Manager, ein Indianer, der gerade im Garten des Hotels arbeitete, daraufhin ansprach, bekam er eine ziemlich verblüffende Antwort, die wir in unserem Kulturkreis wohl kaum verstehen können.
Der Manager sagt: „Wenn sie uns betrügen, ist es ihr Problem.“
So viel Gelassenheit, Souveränität ist schwer zu verstehen. Natürlich gibt es auch ein paar sehr berühmte indianische Schauspieler und andere, die es geschafft haben, sich zu integrieren. Viele junge Navajos, vor allem Mädchen, wollen Anwältinnen werden, und studieren oft jahrelang, um es zu erreichen und um in der Zukunft die Rechte ihres Landes verteidigen zu können.
Und doch liegt hier etwas ganz Unerklärliches in der Luft. Etwas ganz Reales. Etwas ganz Erdiges und Ungeschminktes. Ja, und auch etwas Melancholisches, das jeden berührt. Denn die Visionen der alten Krieger leben vielleicht nur noch in den Träumen weiter …
Und obwohl es für die Navajos keine Wiedergeburt gibt und sie Furcht vor Toten und Geistern haben (die sie „Skinwalkers“ nennen) und es nicht wagen, ihre Namen auszusprechen, und ihre Nachwelt kein Paradies ist, herrscht für sie der Große Geist immer über das weite Land. Vielleicht hört man seine Stimme im rauschenden Flügelschlag des Raben, der ganz plötzlich die Stille durchdringt …
Vielleicht flüstert er im Heulen des Windes und erweckt das innere Wesen in uns, damit es sich freimachen und ausdehnen kann, seine Flügel entfalten kann und sein Eins-Sein mit allem um sich herum zu spüren beginnt … vielleicht ist er einfach nur im Staubkorn, das im Sturm davongetragen wird …

 

Gayan Sylvie Winter war Topmodell und Schauspielerin. Stieg 1974 aus, lebte lange in Indien, heute daheim in der Heimat der Navajos New Mexico. Suchte nach neuen spirituellen Wegen, überwand mit Hilfe der Engel den Krebs. Ist Autorin vieler Bücher („Hoffnung ist der Schlüssel”). Einer ihrer Bestseller: Das „Vision Quest Tarot“ mit indianischen Weisheiten.

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