Barbara Pachl-Eberhart: Das Wunder kann warten

Frühling wird’s. Die Tulpen recken bald ihr Grün aus der Erde, Schwalbe, Wiedehopf und Rotschwänzchen kommen wieder in unsere Breiten, bald werden Fische und Widder geboren, die Flüsse schwellen an und wir versuchen, Winterspeck loszuwerden. Die Bestsellerautorin Barbara Pachl-Eberhart schreibt über die Wunder des Frühlings.

Die Phasen des Lüftens werden bald länger, wir müssen uns nicht vor dem Einstrom der Luft in der Küche verstecken oder unter Daunen. Und ab und zu scheint die Sonne so hell durch die Fenster, dass wir daran denken, sie wieder einmal zu putzen. Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie schon frühjahrsgeputzt? Haben Sie schon Lust darauf, auf Wischen und Saugen und Rubbeln und Räumen? Machen Sie das ohnehin immer? Oder nutzen Sie das vor allem das Frühjahr zum Putz? Bei mir ist das so: Ich habe ein paar Rituale. Ich kehre gern täglich, wasche zwei Mal die Woche zwei, drei Maschinen, nach dem Duschen wische ich das Wasser von Armaturen und Glas. Der Geschirrspüler läuft im Öko-Programm durch die Nacht, ganz langsam und leise. Die Fenster, die lasse ich putzen, meine Putzfee kommt einmal im Monat, da wischt sie auch das Innere meiner Käs­ten, entfernt übersehenen Kalk, manchmal saugt sie mein Auto, wenn sonst nichts Dringendes ansteht. Klingt gut organisiert und höchst sauber, nicht wahr?

Naja. Vielleicht hören Sie meine Mutter, wie sie laut auflacht und „Ach Schatzi“, sagt. Dass sie dabei den Kopf schüttelt, sehen Sie nicht. Aber etwas anderes können Sie sehen, zumindest vor Ihrem inneren Auge. Etwas, das ich Ihnen zeige, ganz im Geheimen: mein Bett. Meinen Abstellraum. Und meine Kommode. Es gibt nämlich ein paar Dinge, die ich bei meiner Aufzählung bewusst nicht erwähnt habe. Weil ich für sie nämlich kein Ritual habe. Kein tägliches, kein jährliches und auch keines, das jemand anders für mich pflegt. Irgendwie finden die Rituale, die nötig wären, keinen Platz im Gedrängel des Sonst. Das Bett machen, morgens, würde ich gern, aber da, wo der richtige Zeitpunkt dafür wäre, muss ich mein Kind gerade zum Anziehen locken, weil es sich sonst – kurz vor dem Abmarsch zum Kindergarten – im Basteln verlöre.

Im Abstellraum liegt immer Werkzeug herum, das ich schnell einmal brauchte. Zum Wegräumen komme ich nie sofort, keine Ahnung, warum. Und auf der Kommode liegt Bügelwäsche. Ich bügle ja regelmäßig. Nämlich immer dann, wenn ich Zeit habe und sonst nichts zu tun. Hm. Der Wäschehaufen ist inzwischen so hoch, dass er fast von der Kommode fällt. Diese Nicht-Rituale gehören ebenso fix zu meinem Leben wie das, was ich regelmäßig schaffe. Täglich schiebe ich Kleider zur Seite, um eine Schublade zu öffnen. Täglich räume ich Hammer, Schraubenzieher oder Wasserwaage vom Deckel des Restmülls auf den Altpapier-Deckel und wieder zurück.
Und täglich schüttle ich das zerwutzelte Laken auf, bevor ich abends darunter krieche. Wenn ich mir ein Wunder wünschen dürfte, dann wäre es eines, das meine paar Haushaltsbaustellen löst. Eines, das mir den Tagestakt lüftet, das Zeitfens­ter öffnet, an denen sich dieses und jenes – und vor allem das Bügeln – ganz logisch und leicht einpassen lässt in den Rest. Und jetzt stellen Sie sich vor: genau so ein Wunder ist neulich passiert. Leider nicht für mein Bett und auch nicht für das Werkzeug. Aber: für den Gatsch und das Wasser vor meiner Tür. Für die hatte ich nämlich bis vor zwei Wochen auch kein Ritual.

Wenn wir heimkommen, mein Kind und ich, vom kaltnassen Spielplatz oder mit prallvollen Taschen, dann heißt es: Schuhe ausziehen, noch vor der Tür. Dann rein in den Vorraum, Jacken abwerfen („Aufhängen, nicht einfach liegen lassen, mein Schatz …“) und Taschen ausräumen („Hast du was Süßes gekauft?“ „Nein, aber du kriegst einen Apfel.“) Dass die Schuhe noch draußen stehen, merken wir meistens erst am nächsten Tag, wenn wir sie da suchen, wo sie eigentlich hingehörten. Da ist der Gatsch dann schon trocken. Und eine Stunde später weg, weil der Flur bei uns täglich von einer Firma geputzt wird. Ob der Putzmann, der sich um mein Haus kümmert, bemerkt hat, dass seit zwei Wochen etwas anders ist? Dass der trockene Gatschfleck, der sonst da ist, fehlt? Ich kann ihm ja einmal erzählen, wie es dazu kam, wenn ich ihn treffe.

Ihnen erzähle ich es schon jetzt: Es liegt an den Nachbarn. Die sind nämlich neu. Und jung. Und sehr lieb. Sie haben eines Sonntags geklingelt, um sich vorzustellen (davor war die Wohnung neben mir leer). Schon einen Tag später haben wir uns wiedergesehen und gleich Telefonnummern getauscht. Noch einen Tag später war ihr Garten, der neben meinem, zauberhübsch mit Sitzmöbeln, Hochbeet und Laterne bestückt, sehr heimelig anzusehen. Als ich tags darauf ein Paket für die beiden übernommen hatte, klingelten sie mit einer Tafel Schokolade – und bekamen dafür ein frisch gezeichnetes Bild meiner Tochter. („Du, bekommst du ein Baby?“ „Ja, bald.“) Und auf einmal war das mit dem Gatsch nicht mehr etwas, das ich vergessen konnte. Ich dachte an die zwei lieben Menschen, die immer eine Stunde später heimkommen als wir. Der Gedanke, dass unser Gatsch sie empfängt, tat mir leid. Ich wollte, dass sie es schön und sauber haben, vor ihrer und meiner Tür.
Am Mittwoch wischte ich schnell den Gatsch von den Fliesen, nach dem Mantelausziehen, vor dem Apfel. Und seither tue ich es täglich. Und pfeife dabei, weil ich mich freue. Gestern hat mir meine Tochter sogar geholfen. Sie ahnen vielleicht, was mich jetzt beschäftigt. Wenn es mir so viel Freude macht, es meinen Nachbarn schön zu machen, könnte ich das nicht auch für mich selber tun? Den Bügelberg abtragen, das Werkzeug in seine Kiste stecken, das Bett gleich nach dem Aufstehen aufschütteln – und lüften? Wissen Sie was? Ich kaufe mir jetzt erst einmal eine Tafel Schokolade. Dann frage ich meine Tochter, ob sie mir ein Bild malen will. Und morgen Früh, da lade ich das Wunder in mein Schlafzimmer ein.

Barbara Pachl-Eberhart, 47, arbeitet als Autorin und Schreibpädagogin in Wien. Ihr Buch „Wunder warten gleich ums Eck“ ist im Integral-Verlag erschienen und jetzt auch als Taschenbuch erhältlich. Aktuelles Buch im Terzium-Verlag: „Chopin besucht Vivaldi und in der Bucht von Venedig schwimmen Delfine. Mein Tanz mit dem kleinsten Feind der Welt. Ein Corona-Tagebuch“. Für das ENGELmagazin geht sie auf die Suche nach den Wundern des Alltags. Alle Bücher der Bestseller­autorin gibt es auch unter: www.mondhaus-shop.de. Mehr Informationen zur Autorin: www.barbara-pachl-eberhart.at

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