Wir tun uns oft schwer damit, im Alltag zur Ruhe zu finden. Wir alle, die Gestressten und auch die Gelassenen, weil tausend Gedanken durch unsere Köpfe schwirren. Meditation hilft. Der große Zen-Meister Thich Nhat Hanh zeigt uns, wie wir uns daheim Orte der Stille erschaffen und den inneren Frieden in unsere Herzen bringen.
1. Übung
Wir können uns angewöhnen, während des Tages immer wieder einmal innezuhalten, in die Gegenwart zurückzukehren und das, was uns so beschäftigt hält, loszulassen. Sind unser Geist und Körper ruhig, können wir unsere Situation klarer sehen und wissen dann besser, was wir tun und was wir lassen sollten. Innehalten ist der erste Aspekt der Meditation. Der zweite ist eingehendes oder tiefes Schauen. Sind wir ruhig, fried- und freudvoll in Körper und Geist, können wir tief in unsere Schwierigkeiten und Probleme hineinschauen, um ihre Wurzeln zu erkennen, wir können sie verstehen. Wir haben uns sehr daran gewöhnt, ständig umherzurennen, selbst zu Hause, sodass es uns nicht leichtfallen mag, das Innehalten zu einer Gewohnheit werden zu lassen. Hilfreich sind kleine Verse, gathas genannt, die Sie sich aufschreiben und so platzieren können, dass sie einfach nicht zu übersehen sind.
Auf dem Nachttisch: Ich wache heute Morgen auf und lächle.
2. Übung
Selbst wenn Sie nur für ein paar Atemzüge innehalten und sich auf den Atem ausrichten oder dies nur für eine oder zwei Minuten tun, ist das sehr wertvoll. Achtsames Atmen bringt Körper und Geist zusammen. In Ihrem täglichen Leben ist Ihr Körper vielleicht hier, während Ihr Geist in eine ganz andere Richtung strebt. Ihr achtsames Atmen ist wie eine Brücke, die Körper und Geist verbindet. Sie sollten sich nicht damit abquälen oder zu sehr anstrengen, Ihrem Atem Aufmerksamkeit zu schenken. Lassen Sie Ihren Atem leicht und unhörbar fließen. Das Atmen kann und sollte eine freudvolle Angelegenheit sein! Dem Atem Aufmerksamkeit zu schenken gibt Ihrem Körper die Möglichkeit zu entspannen. Wenn Sie Ihr Gewahrsein für den Atem aufrechterhalten, wird sich der Atem ganz natürlich vertiefen und verlangsamen.
Sie können sagen: Ich atme ein und bin der Spannung in meinem Körper gewahr. Ich atme aus und lasse alle Spannungen in meinem Körper los.
3. Übung
Oft sagen wir uns: „Sitz nicht einfach nur rum! Tu was!“ Doch wenn wir uns in Gewahrsein üben, entdecken wir, dass das Gegenteil hilfreicher sein mag: „Tu nicht einfach was, sitz!“ Genießen Sie beim Sitzen einfach das Sitzen. Sie brauchen kein Ziel zu erreichen. Jeder Moment der Sitzmeditation macht Sie lebendig. Sitzen ist eine einfache Möglichkeit, um die Bewegungen des Körpers anzuhalten, und das hilft, die fortwährende Bewegung des Geistes anzuhalten. Genießen Sie beim Sitzen einfach das Sitzen. Sie brauchen kein Ziel zu erreichen. Jeder Moment der Sitzmeditation macht Sie lebendig. Das Sitzen bringt Ihren Körper dazu, innezuhalten. Und wenn Sie innehalten können, zunächst mit Ihrem Körper, dann mit Ihrem Geist, dann haben Sie schon ein gewisses Maß an Frieden. Beginnen Sie damit, die Unruhe in Ihrem Körper zu beruhigen. Seien Sie in Ihrem Körper stabil, das wird Ihnen helfen, auch in Ihrem Geist Stabilität zu erlangen.
4. Übung
Achtsames Essen ist ein wichtiger Teil unserer Meditationspraxis – sie beginnt beim Gemüseschneiden, schließt das bewusste Essen ein und endet beim Abwasch. Sind wir achtsam, können wir erkennen, wie viele Elemente – der Regen, der Sonnenschein, die Erde, die Arbeit der Bauern, Fahrer und Verkäuferinnen sowie der Koch – zusammengekommen sind, damit dieses köstliche Essen vor uns stehen kann. Wenn wir in Achtsamkeit essen, lässt uns das erfahren, dass das gesamte Universum unsere Existenz unterstützt. Die Küche sollte ein Ort der Meditation sein. Lassen Sie sich für das Kochen genügend Zeit, um sich nicht gehetzt zu fühlen. Seien Sie gewahr, dass Sie und all die, für die Sie kochen, von dieser Nahrung abhängen. Dieses Gewahrsein wird Sie darin unterstützen, gesunde Nahrungsmittel zu verwenden und sie mit Liebe und Achtsamkeit zuzubereiten.
Ist das Essen auf dem Tisch und haben alle Platz genommen, sollten Sie mindestens dreimal achtsam ein- und ausatmen, bevor Sie zu essen beginnen. Essen Sie allein, so machen Sie mit sich aus, einfach nur zu essen und ganz dabei zu sein und nicht während der Mahlzeit zu lesen oder Radio zu hören. Beim gemeinsamen Essen mit anderen sollten Sie sich Zeit nehmen, einander anzuschauen und zuzulächeln. Mit anderen am Tisch zu sitzen bietet eine Chance für ein authentisches Lächeln, das Freundschaft und Verstehen ausdrückt. Das ist sehr einfach, aber nicht viele Menschen tun es. Für mich besteht der wichtigste Teil der Praxis darin, einander anzuschauen und zu lächeln. Wenn Menschen zusammen essen und einander nicht zulächeln können, dann ist etwas nicht in Ordnung. Das Essen zeigt Ihnen Ihre Verbindung mit der Erde.
Jeder Bissen enthält das Leben von Sonne und Erde. Es hängt von Ihnen ab, in welchem Ausmaß sich das, was Sie zu sich nehmen, in dieser Dimension zu zeigen vermag. Sie können in einem Stück Brot das gesamte Universum sehen und schmecken. Die Speisen vor dem Essen für einige Sekunden auf diese Weise zu betrachten, kann Sie sehr glücklich machen.
5. Übung
Die Metta-Meditation. Metta bedeutet liebende Güte. Zu lieben bedeutet als Erstes uns selbst, so wie wir sind, anzunehmen. Wenn wir Metta- oder Liebende-Güte-Meditation praktizieren, erkennen wir die Bedingungen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Das macht es uns leichter, uns anzunehmen – unser Leiden wie auch unser Glück. Halten wir inne und atmen bewusst, so können wir beobachten, über wie viel Frieden, Glück und Leichtigkeit wir bereits verfügen, aber auch, wie viel Wut, Ärger, Angst, Kummer und Sorgen in uns sind. Werden wir uns unserer Gefühle bewusst, dann wächst unser Verstehen für uns selbst.
Wir sehen, wie unsere Ängste, unser mangelnder innerer Frieden zu unserem Unglück beitragen, und wir erkennen, wie wertvoll es ist, wenn wir uns selbst lieben und ein mitfühlendes Herz entwickeln. Wenn Sie in Stille sitzen, sind Sie nicht so sehr mit anderen Dingen beschäftigt und können sich von daher tief betrachten, so wie Sie sind, und Liebe und Zuneigung für sich selbst entwickeln. Und dann können Sie schauen, wie Sie diese Liebe in der Welt am besten zum Ausdruck bringen können. Sagen Sie: Möge ich friedvoll, glücklich und leicht in Körper und Geist sein.
Möge ich sicher sein und frei von Verletzungen. Möge ich frei sein von Wut, Kummer, Angst und Sorge. Beginnen Sie die Liebende-Güte-Meditation mit sich selbst und benutzen Sie das Pronomen „ich“. Solange Sie nicht imstande sind, sich selbst zu lieben und auf sich selbst achtzuhaben, solange sind Sie auch für andere nicht sehr hilfreich. Ersetzen Sie dann das „ich“ durch „er“, „sie“ (im Singular und Plural) und beziehen Sie es zunächst auf jemanden, den Sie mögen, dann auf jemanden, dem Sie neutral gegenüberstehen, dann auf jemanden, den Sie lieben, und schließlich auf jemanden, an den nur zu denken Ihnen schon Probleme verursacht.
Thich Nhat Hanh, 1926 in Vietnam geboren, gehört als sozial engagierter buddhistischer Mönch und Zen-Meister zu den bedeutendsten spirituellen Lehrern der Gegenwart. Die schmerzhaften Erfahrungen des Vietnamkriegs haben sein Bewusstsein dafür gestärkt, wie die buddhistische Lehre und insbesondere die Entwicklung von Achtsamkeit dazu beitragen können, Konflikte zu lösen oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Thich Nhat Hanh lebt im Exil, seit ihm anlässlich einer Reise in die Vereinigten Staaten 1966 die Regierung von Südvietnam die Rückkehr in seine Heimat verweigerte. Er ist Autor zahlreicher Bücher und engagiert sich in der Friedensarbeit und Flüchtlingsbetreuung.