Wir spüren wenn die Zeit zum Aufbruch gekommen ist. In dem besonderen Moment fallen Abschied und Neuanfang zusammen, es bricht auf in uns und öffnet sich vor uns. Unser erster Schritt führt uns über die Schwelle. Niemand lebt für sich allein. Wer ist mit uns unterwegs – auf unserem Lebensweg und auf unserem inneren Pilgerweg?
Wie wir leben, wie wir unsere Fähigkeiten ausbilden und nutzen, das hat auch immer mit den Menschen zu tun, zu denen wir in Kontakt stehen. Mit Menschen, die wir lieben, mit unseren Freunden und Kollegen bis hin zu Beziehungen, in denen Abneigung oder gar Feindschaft herrscht. Vor allem in Zeiten, in denen wir entscheidende Veränderungen durchleben, können wir einem Menschen sehr verbunden sein, der ähnliche Entwicklungsschritte geht. Wenn dann später die Themen auseinanderdriften, kann das solch eine Beziehung auf die Probe stellen. Manche Frauenfreundschaften brechen ab, wenn die eine Mutter wird und die andere nicht – weil beider Alltag auf einmal so unterschiedlich ist. Wenn aber beide akzeptieren, dass die jeweils andere sich verändert, wenn beide darauf achten, die andere weiter miteinzubeziehen und sich auch für deren Alltag weiterhin zu interessieren, dann bleibt die Freundschaft nach wie vor lebendig.
Die Liebe betrachten
Mit der Liebe ist es nicht anders. Es lohnt sich, auch Liebesbeziehungen einmal daraufhin zu betrachten, woraus sie leben und was sie nährt. Bei jungen Verliebten ist das „Wir“ das große, das einzige Thema. Wenn aus solch einer Liebe eine langjährige Partnerschaft wird, dann müssen immer wieder Veränderungen gemeistert werden. Fragen tauchen auf: Passt der oder die andere noch zu mir und meinem heutigen Lebensentwurf? Passt er oder sie noch zu dem Menschen, der ich heute bin? Im Lauf einer jeden Beziehung wechseln die Themen, die den Einzelnen und das Paar beschäftigen. Die Zusammengehörigkeit muss deshalb immer neu aktualisiert werden – in Gefühlen, Gedanken und Taten. Wenn Sie immer wieder an Ihrer Liebesbeziehung zweifeln, können Sie mithilfe der folgenden Fragen Ihr Unbehagen konkreter fassen und ergründen, wo sich etwas verändern sollte:
– Was können Sie gut miteinander – auch jetzt noch (über dieselben Witze lachen,
gemeinsam Sport treiben …)?
– Fühlen Sie sich beim anderen sicher, haben Sie Vertrauen zu ihm?
– Freuen Sie sich bei dem Gedanken, den Menschen wiederzusehen, mit dem Sie Ihr Leben
teilen?
– Machen Sie gemeinsam Pläne?
– Genießen Sie es, vom anderen umarmt zu werden?
– Haben Erotik und Sexualität einen Platz in Ihrer Beziehung?
Vielleicht will sich auch Ihr Bild vom Paar-Sein verändern. Dann können Sie auf Ihrer inneren Pilgerreise daran arbeiten.
Aus der Dankbarkeit leben
Der innere Pilgerweg ist eine gute Gelegenheit, mit dem Üben anzufangen. Dankbarkeit bezeichnet eine innere Haltung und zugleich ein Gefühl. Oft wird sie zwar nur als Konvention verstanden, denn sie macht einen Teil unseres höflichen Umgangs miteinander aus. Jeder von uns hat sich vermutlich schon aus reiner Höflichkeit bedankt, ohne das entsprechende Gefühl zu verspüren. Das ist auch in Ordnung, weil solche Konventionen das Leben erleichtern. Aber es sollte nicht den Blick auf die echte Dankbarkeit verstellen, denn die ist, als Emotion und innere Haltung, eine wichtige Ressource Bei manchen Dingen und Erlebnissen wissen wir ziemlich genau, wem wir dafür dankbar sind. Wir verbinden sie mit bestimmten Menschen oder auch Institutionen. Im konkreten Fall können wir unseren Dank dann in Worten und Taten ausdrücken. Doch es gibt auch andere Konstellationen – solche, bei denen der Ursprung des erfahrenen Glücks und der Adressat, an den wir unseren Dank richten, nicht identisch sind beziehungsweise der Adressat nicht konkret zu fassen ist. Hier rühren wir an die sogenannten „letzten Fragen“ – die Fragen nach dem, was nach unserer Überzeugung unser Leben trägt und worauf wir uns gründen. Sie stellen sich immer wieder einmal im Leben und vor allem dann, wenn man auf einem inneren Pilgerweg unterwegs ist – in Situationen des Auf- und Umbruchs, wenn wir Schwellen überschreiten, uns an Kreuzungen entscheiden und dann weitergehen. Auf diese letzten Fragen antwortet jeder ganz persönlich nach seiner eigenen Überzeugung. Und das Thema Dankbarkeit ist ein schöner Anstoß, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Der Weg nach dem Weg
Für viele Menschen auf dem realen Jakobsweg endet die Pilgerfahrt tatsächlich in Santiago de Compostela. Aber manche von ihnen – und es werden immer mehr – reisen weiter westwärts, der untergehenden Sonne entgegen bis ans Kap Finisterre (vom lateinischen „finis ter-rae“ – „Ende der Erde“). Hier ist das Land zu Ende. Danach kommt nur noch Wasser, nichts Bewohnbares mehr, so weit das Auge sieht. Der Horizont, hinter dem allabendlich die Sonne verschwindet, und die Frage, was wohl dahinter liegen möge, nährten schon bei den Kelten die Fantasien von einem Weiterleben nach dem
Tod auf der Insel der Seligen weit draußen, jenseits dieser Welt. In Kap Finisterre schauen die Pilger von den Klippen aus auf die Weite des Meeres, die sich vor ihnen auftut. Manche verbrennen nach altem Brauch einen Teil ihrer mitgeführten Habe. Ob nun ans Kap Finisterre oder gleich wieder heim – in jedem Fall gibt es also einen Weg nach dem Weg. Aber wenn wir ihn gehen, sind wir nicht mehr dieselben wie vorher. Wir haben uns verändert, haben eine Entwicklung durchgemacht.
Dr. Christiane Schlüter hat evangelische Theologie studiert und darin auch promoviert. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin sowie Weiterbildungen zur Psychodrama-Leiterin, in Seelsorge und Gesprächsführung. Sie lebt und arbeitet heute als Journalistin und freiberufliche Buchautorin in Augsburg. Ihre Schwerpunkte sind Psychologie, Philosophie und Religion – zu diesen Themen hat sie bereits mehrere Bücher verfasst, darunter bei GU: „DER INNERE JAKOBSWEG. Der praktische Ratgeber für den inneren Pilgerweg zu einem sinnerfüllten Leben“ und den erfolgreichen Tischaufsteller „DER JAKOBSWEG FÜR ZU HAUSE“. Erhältlich auch unter: www.mondhaus-shop.de
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