Céline Spantini: Scherben vergolden dein Leben

Scherben können unser Leben oftmals sogar verschönern. Kintsugi ist eine alte japanische Kunst, um zerbrochene Keramik zu reparieren. Dabei werden die Bruchstellen nicht vertuscht, sondern betont, in dem man sie vergoldet – und in ihrer ganzen Schönheit inszeniert. Und somit zu einem neuen einmaligen Kunstwerk zusammenfügt.

Wenn etwas zu Bruch gegangen ist, vielleicht eine Beziehung, Pläne oder Träume. So werden wir an unseren Niederlagen und Verletzungen wachsen. Hier führt uns die Kunsttherapeutin in das Handwerk des Kintsugi ein, das wie eine Meditation wirken kann. Versuchen wir es doch, vielleicht mit Omas wertvoller Vase oder Tasse, von der uns leider nur noch die Scherben blieben.

 Die Kunst des Kintsugi folgt einer bedächtigen und genauen Zeremonie, die Geduld und Konzentration verlangt. Tag für Tag, Woche für Woche, nach und nach wird der Gegenstand gereinigt, geschmirgelt und lackiert, um am Ende neue Vollkommenheit zu erlangen. Im Folgenden möchte ich Ihnen die Schritte des traditionellen Kintsugi im Einzelnen vorstellen. Vielleicht finden ja auch Sie Gefallen an den sorgsamen und präzisen Handgriffen, mit denen wir uns ganz dem gegenwärtigen Moment widmen.

Die Technik des Kintsugi: Schritt für Schritt heilen

1. Schritt: Zerbrechen
Erleiden: Etwas Unvorhergesehenes, eine falsche Bewegung, ein Zusammenstoß, und schon geht etwas zu Bruch.
Akzeptieren: Fassen Sie sich, sammeln Sie die Scherben auf.
Beschließen: Beschließen Sie, dem zerbrochenen Gegenstand eine zweite Chance und ein zweites Leben zu geben, statt ihn zu entsorgen.
Auswählen: Informieren Sie sich über mögliche Reparaturmethoden, und wählen Sie die aus, die Ihnen am meisten zusagt: illusionistisch ohne Reparaturspuren, etwas brachial mit Metalklammern oder aber eine Wiederherstellung mit den Goldnarben des Kintsugi?
Umdenken: Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf, und schlagen Sie neue Wege ein!
Visualisieren: Stellen Sie sich vor, wie der reparierte Gegenstand am Ende neu erstrahlen wird.
2. Schritt: Zusammenfügen
Vorbereiten: Säubern Sie die Bruchstücke, und legen Sie das Werkzeug bereit: Spatel, Palette, Pinzette, Goldpigmente, Trockenspachtel, Stäbchen, Terpentinersatz, Sandpapier, Seidenwatte … Schützen Sie Ihre Hände mit Handschuhen.
Puzzeln: Betrachten Sie die Bruchstücke, und überlegen Sie, wie die Teile zusammenpassen, um so die Reparatur vorzubereiten.
Verwandeln: Transformieren Sie Gift in ein Heilmittel! Der Harzlack (Urushi) zum Verkleben der Teile ist natürlichen Ursprungs und wird aus dem Harz des Lackbaums gewonnen. Dennoch ist er extrem reizend, daher sollten Sie Handschuhe tragen. Aber sobald der Lack gehärtet ist, hält er das Gefäß wunderbar zusammen und legt seine giftigen Eigenschaften ab.
Zusammensetzen: Der Klebstoff Mugi Urushi wird aus Mehl und Harzlack zusammengerührt und dann mit einem Spatel auf beiden Seiten der Bruchstelle aufgetragen. Fügen Sie alle Teile zusammen, bis der Gegenstand wiederhergestellt ist.
Füllen: Falls eine Scherbe fehlt, lässt sich mit einer Paste aus Lack (Urushi) und Tonerde (Tonoko) ein Ersatzstück (Sabi Urushi) formen. Gehen Sie sorgfältig und geduldig vor.
Einbinden: Wenn Ihnen das Einbinden von Zwischenstücken gefällt, können Sie auch eine Scherbe von einem anderen Gegenstand als Ersatz verwenden. Wie beim Veredeln (Pfropfen) eines Bonsaibaums spricht man hier von Yobi Tsugi.
3. Schritt: Sich gedulden
Ablösen: Entfernen Sie Klebereste mit einem geeigneten Werkzeug (etwa Rasierklinge, Zahnstocher, Cutter oder Spatel). Anschließend reinigen Sie die Oberfläche mit Terpentin.
Fixieren: Sorgen Sie dafür, dass die Teile am Platz bleiben, indem Sie sie mit Malerkrepp oder Gummibändern fixieren.
Atmen: Der Harzlack (Urushi) muss beim Aushärten atmen. Dazu benötigen Sie einen geschlossenen Karton (Muro), in den Sie unten ein Handtuch legen. Den geklebten Gegenstand stellen Sie auf Stäben darüber, sodass er wie auf einem Gitter ruht.
Ruhen: Am besten härtet der Lack bei einer Luftfeuchtigkeit von 75 bis 90 Prozent und einer Temperatur von knapp über 20 Grad Celsius. Sorgen Sie also für ausreichend Wärme und Feuchtigkeit in Ihrem Muro.
Reinigen: Reinigen Sie nach jedem Schritt Ihr Werkzeug (Spatel, Schälchen, Pinzette und so weiter) mit Terpentinersatz oder pflanzlichem Öl, und räumen Sie das Material bis zum nächsten Gebrauch ordentlich weg.

Warten: Nun heißt es Geduld haben, bis das Gefäß innerhalb von ein bis zwei Wochen in der Schachtel gehärtet ist. Sämtliches benötigtes Material finden Sie mühelos im Internet, und zwar einzeln oder als gebrauchsfertiges Set. Je nach gewünschtem Perfektionsgrad und Budget können Sie entweder der traditionellen Methode folgen, indem Sie echten Japanlack (Urushi) und 22-karätigen Goldstaub für den Lebensmittelgebrauch verwenden. Oder aber Sie lassen sich nur von der Vorgehensweise inspirieren und greifen auf Epoxidkleber und Goldlack oder Perlmuttpulver zurück.

 

Céline Santini ist eine französische Autorin und Coach für persönliche Entwicklung und Kunsttherapie. Auf ihrem Blog jour-apres-jour.com schreibt sie zu Themen wie Resilienz, Glück und Beziehungen. Im Kailash-Verlag ist ihr Buch „Kintsugi. Wie uns Bruchstellen im Leben stark machen. Der japanische Weg zur Resilienz“ erschienen.

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